Nominiert für den Deutschen Reporterpreis 2010.
Fremde
Männer mit Bärten
Ein
Besuch bei einem ehemaligen Guantánamo-Häftling in Afghanistan.
Von Toni Keppeler,
kunst & kultur 01.03.2010
„Trägst
du einen Bart?“ fragte mein Kontaktmann am Telefon.
„Nein“,
sagte ich.
„Dann
lass dir einen wachsen. Wir müssen in den Süden, in die
Stammesgebiete. Die Menschen dort reden nicht gerne mit Männern ohne
Bart.“
Ich hatte noch eine
Woche Zeit. Da wächst nicht viel. Mehr als ein Zeichen des guten
Willens war das nicht.
„Tribal
areas“ hatte mein Kontaktmann in seinem harten und holprigen
Englisch gesagt. Tribe: der Stamm, der Clan. Wir glauben zu wissen,
was das ist. Stämme, das sind Apachen, Komanchen oder Sioux und nur
die ersten wurden von Karl May in den Stand der edlen Wilden erhoben.
Die anderen sind nur wild und hinterhältig und verlogen. Wenn es zu
ihrem Vorteil ist, wechseln sie mir nichts dir nichts ihre
Verbündeten. Und Clans sind fies. Das wissen wir von der Seifenoper
aus Denver.
Ich sollte also
Stämme sehen und Clans und brauchte dazu einen Bart. Afghanen tragen
Bärte und erwarten das wohl auch von anderen.
Der Afghane, den ich
treffen sollte, gehörte zur ersten kleinen Gruppe, die aus Camp
Delta entlassen worden war. Er wusste, was damals noch kaum jemand
wusste: Wie es wirklich war in Guantánamo, jenem von der US-Armee in
Kuba eingerichteten Straflager für des Terrorismus’ verdächtigte
Asiaten. Irgendwie gehörte dieser Mann von vorn herein zum Stand der
edlen Wilden. Er hatte Unrecht erlitten und schien bereit, darüber
mit einem Ungläubigen zu reden. Auch der Mann, der mich zu ihm
bringen wollte, musste ein edler Wilder sein. Warum sollte er es
sonst machen?
Eine Woche später
holte mich mein Kontaktmann vom Flughafen in Kabul ab. Er war klein
und ein bisschen dick. Er hatte dünnes fettiges Haar und einen
ebenso dünnen Bart. Er war gekleidet, wie man sich einen Afghanen
vorstellt: mit einem weiten himmelblauen Hemd, das fast bis zu den
Knien reicht. Die Hose aus dem selben Stoff und im selben Ton, mit
einem weiten, tief hängenden Schritt. Er trug eine von diesen
braunen Mützen aus verfilzter Wolle, die ein bisschen an
Baskenmützen erinnern und die man Pakul nennt. Er sagte, er heiße
Ehsanullah.
Ehsanulla, und
weiter?
Nichts weiter.
Paschtunen haben in der Regel nur einen Vornamen. „Wenn du einen
Nachnamen brauchst, nenne mich Wardak“, sagte er. „So heißt die
Provinz, aus der ich stamme.“
Er sagte, der
ehemalige Guantánamo-Häftling heiße Mohammed Ibrahim und er könne
mich nicht zu ihm bringen. Der nämlich wohne in einem Dorf, das von
den Taliban kontrolliert werde und da könne er nicht mit mir hin.
„Sie werden dich für einen Spion halten“, sagte er. „Mich
werden sie umbringen und dich werden sie entführen.“ Aber ich
solle mir keine Sorgen machen. Er werde alleine hinfahren und den
Mann zu Verwandten bringen im Süden, in einem Dorf, das an der
Grenze liege zum Taliban-Gebiet. Dort könne ich ihn treffen.
Mit Informanten, die
ich nicht kenne und letztlich auch nicht verstehe, versuche ich
immer, so etwas wie eine persönliche Ebene zu finden. Das gibt mir
das Gefühl, sie hätten dann Skrupel, mich zu betrügen. Bei
Ehsanullah wandte ich die Standard-Methode an. Ich zeigte ihm ein
Foto meiner Frau. In der Regel ziehen die Informanten dann selbst ein
paar Bilder aus der Brieftasche, führen ihrerseits Frau und Kinder
vor und schon ist man familiär miteinander.
Ehsanullah
betrachtete das Foto sehr genau.
„Nice“,
sagte er. „Very nice.“ Er habe kein Foto von seiner Frau und
selbst wenn er eines hätte, dann dürfte ich es nicht sehen.
Aber er erzählte
mir seine Geschichte. Dass sein Vater ermordet worden sei, als er
vier Jahre alt war. Dass er mit eigener Hand Blutrache geübt habe an
der Familie der Mörder, 22 Jahre später. Dass er Mudschaheddin war
in der Truppe des Warlords Gulbuddin Helmatyar und gegen die Sowjets
gekämpft habe. Da habe er Mohammed Ibrahim kennengelernt. „Ein
tapferer Mann. Einer der besten Panzerfaust-Schützen.“
Ein paar Tage später
fuhren wir in Richtung Süden. Hinaus aus der staubigen und grauen
Ruinenstadt Kabul, auf der Straße, die nach Kandahar führt. Die
hörte bald auf, asphaltiert zu sein, und als wir nach vielleicht 20
Kilometern einen Militärposten passierten, sagte Ehsanullah: „Hier
endet der Einflussbereich der Regierung.“
Die Straße führte
durch ein weites Tal voller intensiver Farben. Links und rechts die
kargen grauen Berge, darüber ein tief blauer Himmel. Und unten im
Tal, entlang des kleinen Flusses, ein breiter Streifen in sattem
Grün. „Wenn die Schlafmohnfelder blühen, ist es noch schöner“,
sagte Ehsanullah. Dann sei das Grün blutrot gesprenkelt.
Immer wieder standen
links und rechts an Trutzburgen erinnernden Höfe. Die Familien hier
verstecken sich hinter über mannshohen dicken Mauern aus graubraunen
Lehmziegeln. Irgendwo in der Ferne ratterte ein Schnellfeuergewehr.
Es war so leise, dass Ehsanullah nicht einmal einen Blick auf die
Kalaschnikow warf, die er auf der Rückbank des Auto abgelegt hatte.
Irgendwann bog er ab zu einem dieser Gehöfte.
Ehsanullah öffnete
das Tor. Niemand war im Hof, niemand stand in der Haustür. Wir
gingen ins Haus. Ich folgte Ehsanullah in ein großes Zimmer. Es war
mit roten Teppichen ausgelegt, an den Wänden lagen ein paar Kissen.
Die roten Vorhänge waren zugezogen und dämpften das Licht. Möbel
gab es nicht. Auf dem Boden stand ein Tablett mit vier Gläsern,
einer silbernen Kanne mit Tee und einer gläserner Karaffe mit warmer
Milch. Dazu ein Schälchen mit süßem Gebäck.
In einer Ecke
kauerte ein Mann. Er war mager und wirkte müde und fast ein bisschen
zerbrechlich. Sein Bart war schwarz und grau, die dunklen Augen lagen
tief im Gesicht. Er war traditionell gekleidet. Ein brauner Turban,
das weite Hemd und die weite Hose in Taubenblau. Eine ärmellose
braune Wollweste. Er war barfuß und hatte die Nägel der Zehen rot
eingefärbt.
Mühsam erhob er
sich. Erst jetzt sah ich, wie groß er war, mindestens ein Meter
neunzig. Zur Begrüßung fasste er uns mit beiden Händen an die
Unterarme, sanft, fast schüchtern. Dann legte er die rechte Hand
aufs Herz. Man wollte nicht glauben, dass dies der Mann war, der sich
sowjetischen Panzern entgegengestellt hatte.
Mohammed Ibrahim
sprach leise und hektisch, in Paschto. Ehsanullah übersetzte in sein
holpriges Englisch. Dass Mohammed nie ein Taliban gewesen sei. Dass
er Heroin und Opium geschmuggelt habe hinüber in den Iran. Dass dort
an der Grenze im Norden die Tadschiken wohnen, Mitglieder der mit den
USA verbündeten Nordallianz. Dass die das Drogengeschäft für sich
allein haben wollten und ihn deshalb als angeblichen Taliban für ein
Kopfgeld von 3000 Dollar an die US-Armee ausgeliefert hätten. Die
US-Soldaten hätten den Tadschicken geglaubt. Schließlich ist
Mohammed Paschtune und die Taliban sind es auch. So sei er nach
Guantánamo gekommen.
Auch in Guantánamo
beim Verhör habe er gesagt: „Ich bin Drogenhändler, ein ehrbarer
Beruf mit dem man seine Familie gut ernähren kann.“ Aber sie
hätten ihm nicht geglaubt und immer nur nach seinen Anführern
gefragt.
Ob er misshandelt
worden sei in Camp Delta?
„Nein“,
sagte er. „Wir wurden ordentlich behandelt. Es gab genug zu essen.
Aber immer nur Wasser und keinen Tee.“
Was denn dann
schlimm gewesen sei?
„Wir
lebten wie Vögel in einem kleinen Käfig. Und es war heiß, heißer
als in Peschawar.“ Man habe ihm Haare und Bart abrasiert und beim
Beten habe er nicht gewusst, in welcher Richtung Mekka liegt. Und das
betonte er ganz besonders: „Die Aufseher waren Männer und Frauen
und ich wusste nie, wer ein Mann war und wer eine Frau. Alle hatten
die gleiche Uniform. Alle hatten kurze Haare und Sonnenbrillen und
niemand trug einen Bart. Das hat mich sehr verwirrt.“
Er wusste nicht,
warum er nach sieben Monaten wieder zurück nach Afghanistan
geschickt worden ist. Man habe ihm auf dem Flughafen in Kabul 170
Dollar gegeben, damit er afghanische Kleider kaufen konnte und nicht
mehr im orangefarbenen Overall herumlaufen müsse. Das Geld habe auch
noch gereicht, um mit dem Taxi nach Hause zu fahren. Seine Familie
habe längst geglaubt, er sei tot.
„Es
war der glücklichste Tag in meinem Leben“, sagte er. „Es war,
als würde ich noch einmal geboren. Als sei mir ein zweites Leben
geschenkt worden.“ Seither aber könne er nicht mehr glücklich
sein.
Mohammed Ibrahim
sprach jetzt noch leiser und nicht mehr hektisch, sondern stockend.
Fast flüsterte er ins Ohr von Ehsanullah und der übersetzte: „Wenn
ich nachts bei meiner Frau liege... ich kann nicht mehr bei ihr
sein... es geht nicht mehr... ich war schon bei einem indischen
Heiler... er hat mir Kräuter gegeben... aber sie helfen nicht.“
Mohammed Ibrahim war
bei meinem Besuch 45 Jahre alt. Ich dachte, das ist kein Alter für
einen tapferen afghanischen Mann. Zum Abschied küsste er mich auf
die Wange. Es fühlt sich seltsam an, wenn zwei bärtige Männer
einander küssen. Zurück |